Wettbewerbskommissarin Margarete Vestager sprach beim heutigen Internationalen Forum EU-Kartellrecht in Brüssel über Wettbewerb, der für Verbraucher funktioniert.
Das Thema Marktkonzentration und gemeinsame Eigentumsstrukturen bezeichnete Vestager als gegenwärtig besonders wichtig: Konsumenten sähen sich infolge fortschreitender Marktkonzentration heute oft großen Unternehmen gegenüber, denen gegenüber sie sich schwer tun, ihre Interessen im Wettbewerb zu verfolgen; dies gelte umso mehr, wenn Investoren Anteile an mehreren Unternehmen halten und daher an einem limitierten Wettbewerb zwischen diesen interessiert sein könnten. Diese, in den USA bereits breiter beleuchtete Frage möchte nun auch die EU-Kommission klären, sowohl hinsichtlich ihres Auftretens in Europa als auch hinsichtlich ihrer wettbewerblichen Auswirkungen.
Zur besonderen Verantwortung marktbeherrschender Unternehmen stellte Vestager klar, dass es nicht das Ziel sei, marktbeherrschende Unternehmen an der Teilnahme am Wettbewerb zu hindern: Allerdings könnten solche Unternehmen aufgrund ihrer Marktmacht mit ansonsten unbedenklichen Maßnahmen wie Treuerabatten oder Exklusivitätsbindungen Konkurrenten aus dem Markt drängen, obwohl diese ebenso gute oder bessere Produkte zum selben oder zu niedrigeren Preisen anbieten – zum Schaden der Verbraucher.
So führten Treuerabatte marktbeherrschender Unternehmen nicht nur zu günstigeren Preisen, sondern auch zu einer ausschließlichen Geschäftsbeziehung, die anderen Unternehmen den Zugang zum Markt erschwere, den Markt zementiere und negative Folgen insbesondere für Innovationen zeitige.
Mit Bezug auf die Intel-Entscheidung des EuGH betonte Vestager, dass die Kommission maßgeblich auf die negativen Auswirkungen auf Verbraucher achtet, wenn sie die Missbräuchlichkeit eines Verhaltens beurteilt; Beweisangebote, dass ein Treuerabatt keine negativen Wettbewerbswirkungen entfaltet, berücksichtige die Kommission. Insoweit habe die Intel-Entscheidung Klarheit gebracht, doch ändere diese wenig an der Kommissionspraxis. Der auch in der Intel-Entscheidung verwendete “as efficient competitor test” sei, so Kommissarin Vestager, weder der einzige noch der Gold-Standard zur Feststellung der Missbräuchlichkeit.
Auch im Zuge des jüngst verhängten Kartellbußgelds von knapp einer Milliarde Euro gegen Qualcomm wegen Exklusivitätszahlungen an Apple habe sich die Kommission nicht allein auf den von Qualcomm durchgeführten “as efficient competitor test” gestützt, der problematisch gewesen sei. Vielmehr habe eine Reihe von Prüfungen die Einschätzung gestützt, dass die Zahlungen von Qualcomm maßgeblich dafür waren, dass Apple Chips nur bei Qualcomm und nicht (auch) bei Intel kaufte – wie dies inzwischen der Fall sei, nachdem die Exklusivitätszahlungen endeten.
Zusammenfassend hielt Wettbewerbskommissarin Vestager fest, dass marktbeherrschende Unternehmen an missbräuchlichem Verhalten, nicht aber an Innovation und Angeboten an Verbraucher gehindert werden sollten, um den Wettbewerb zu sichern. Hier müssten die Kartellbehörden die richtige Balance finden, um marktbeherrschenden Unternehmen ungeachtet ihrer besonderen Verantwortung wettbewerbliches Handeln und Innovationen zu ermöglichen und Verbrauchern Wahlmöglichkeiten zu eröffnen, die ihnen einen „faireren Deal“ ermöglichen: niedrigere Preise, bessere Qualität und innovativere Produkte.
In der anschließenden Fragerunde und Diskussion führte Vestager zu ihrer Forderung nach größerer Fairness aus, schon die Gründungsverträge hätten unter anderem zum Ziel gehabt, die Monopole der 1930er Jahre zu verhindern, welche zum zweiten Weltkrieg beigetragen haben. Der Fokus auf Verbraucher und Fairness diene eben dieser Machtbegrenzung.
Gleichzeitig stellte die Wettbewerbskommissarin klar, dass klein nicht automatisch gut sei, vielmehr Märkte angestrebt seien, auf welchen kleine wie große Unternehmen miteinander konkurrieren können.
Hinsichtlich eines Anpassungsbedarfs bestehender Regelungen und Verfahren angesichts der Herausforderungen digitaler Märkte betonte Vestager die Bedeutung der Gemeinschaftsgerichte für eine rechtsstaatliche Entwicklung; einstweiligen Maßnahmen gegenüber zeigte sich Vestager zurückhaltend, auch weil entsprechende Fälle auf EU-Ebene viel seltener seien als in den Mitgliedstaaten.
Die Kommission bediene sich neuer Methoden der Digitalisierung bislang primär bei der Sichtung großer Datenmengen sowie bei der Gewährung von Aktenzugang, wohingegen eine weitergehende Nutzung durch die Kommission in den Kinderschuhen steckt.